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Renke Korn kam 1938 als viertes und letztes Kind des Studienrats Dr. Adolf Korn und seiner Ehefrau Dr. Hildegard Korn geb. Ries in Unna / Westfalen zur Welt. Ab 1945 besuchte er unter schwierigen Bedingungen in der durch alliierte Bombenangriffe stark zerstörten alten Hansestadt Soest die Volksschule. 1949 wechselte er auf das dortige Aldegrever-Gymnasium. 1950 zog die Familie nach Münster, wohin der Vater 1948 als Oberschulrat an das Schulkollegium berufen worden war. In Münster wurde Renke Korn Schüler des Wilhelm-Hittorf-Gymnasiums und legte dort 1958 die Reifeprüfung ab. In den folgenden Jahren studierte er an den Universitäten München, Göttingen und Münster Germanistik, Geschichte und Philosophie. 1963 machte er mit einer Arbeit über seinen meistverehrten Autor Georg Büchner das Staatsexamen für das Lehramt an höheren Schulen. Er bestand diese Prüfung mit Auszeichnung. Er hatte aber schon vorher beschlossen, den Berufsweg in den Schuldienst nicht fortzusetzen. Als Schüler und Student hatte er Gedichte geschrieben, hatte sie aber, weil er sie selbst noch nicht für publikationsreif hielt, keinen Verlagen angeboten. Nun wollte er sich dieser schriftstellerischen Neigung intensiver widmen. Seine Eltern warnten zwar vor den Risiken, aber machten andererseits auch Mut, vor allem seine Mutter, die aus einer Zeitungsverlegerfamilie stammte und vor ihrer Heirat einige Zeit Schriftleiterin gewesen war. Generell spielten Schriftsteller und Bücher in der Familie eine große Rolle - zwei Verwandte der Mutter waren Schriftstellerinnen gewesen, die eine, Hagdis Hollriede, eine bekannte Kinderbuchautorin - und in fast allen Zimmern gab es gewaltige Regale mit Büchern.
Im Oktober 1963 zog Renke Korn nach Berlin, schrieb und arbeitete gleichzeitig als Hilfsarbeiter, Monteur, Gabelstaplerfahrer, Verkäufer … Das war, erklärte Renke Korn später einmal in einem Interview, nicht nur der Geldnot geschuldet, sondern auch seinem Bedürfnis, die Welt in Bereichen kennenzulernen, die er als Beamtensohn nicht kannte. 1966 sendete der Westdeutsche Rundfunk Renke Korns erstes Hörspiel „Verteidigung eines Totengräbers“, über das der Kritiker Hans Jansen in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung vom 19.8.1966 urteilte: „Verblüffend sicher beherrscht der 1938 in Unna geborene Renke Korn die dramaturgischen Gesetze des Hörfunks und legt gleich mit seinem ersten Hörspiel eine der besten Funkkomödien der letzten Jahre vor.“ -
Weitere Hörspiele folgten, aber wirklich bekannt machten Renke Korn seine Theaterstücke „Die Überlebenden“ (Uraufführung 1968 am Deutschen Theater Göttingen) und „Partner“ (Uraufführung durch das Städtische Theater Dortmund im Rahmen des Jungen Forums der Ruhrfestspiele 1970). Vor allem dieses Stück, das keine durchgehende Handlung hat, sondern in unterschiedlichen Szenen westdeutsche Realität beleuchtet, brachte Renke Korn hervorragende Kritiken ein. Der Tagesspiegel vom 10.6.1970 lobte: „Mit einem erstaunlichen Instinkt und Wirklichkeitsbewußtsein montiert Korn dialektisch plausibel, ohne jede billige Polemik , die Alltagsklischees klug als Mittel benutzend, seine Szenenbeispiele.“ Und der Kritiker Heinrich Vormweg schrieb in der Süddeutschen Zeitung vom 3.6.1970 ähnlich: “Auf eine faszinierend sachliche Weise ist bei dem allem das Allgemeine statt als etwas Absolutes und für alle Verbindliches als Erscheinungsform gesellschaftlicher Abhängigkeit erkennbar. Und das definiert vielleicht andeutungsweise die außerordentliche Dichte, Realitätsnähe und Überzeugungskraft dieser Szenenfolge.“ Das Stück wurde 1971 vom Benziger Verlag als Buch herausgebracht, und die Szene „Picknick“ wurde in den von Karlheinz Braun und Peter Iden 1971 im Diogenes Verlag herausgebrachten Sammelband „Neues Deutsches Theater“ aufgenommen.
In den folgenden Jahren veröffentlichte Renke Korn viele weitere Hörspiele und Theaterstücke („Flucht nach Hinterwiesenthal“ UA Dortmund 1971; „Das Attentat auf das Pferd des Brasilianers Joao Candia Bertoza“ UA Stadttheater Aachen 1973; „Die Reise des Engin Özkartal von Nevsehir nach Herne und zurück“ UA Landestheater Tübingen 1975, abgedruckt in Theater heute , Heft 8, August 1975), bis er sich ab 1975 mehr und mehr dem Schreiben von Drehbüchern für Film und Fernsehen zuwandte, bei deren Realisierung er oft auch selbst Regie führte.
Wie in seinen Theaterstücken und Hörspielen blieb er dabei den Spannungen und Verwerfungen im gesellschaftlichen Prozeß auf der Spur. So in dem von der UFA für das ZDF produzierten, 1975 erstmals gesendeten Fernsehspiel DER ALTE (das mit der später entstandenen gleichnamigen Krimiserie nichts zu tun hat). Im Mittelpunkt steht Alfred Torgler, ein ehemaliger Bergmann, der nach der Schließung seiner Zeche umgeschult hat zum Anstreicher, dem es aber wegen der jahrzehntelangen Arbeit unter Tage, die seine Gesundheit, vor allem seine Lunge, angegriffen hat, zunehmend schwerfällt, die an ihn gestellten Anforderungen zu erfüllen. Ernst Johann schrieb dazu am 19.2.1975 in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG: “Erzählt wird die Geschichte einer Angst, der aktuellen Angst vor der Arbeitslosigkeit. Nachgegangen wird ihr am Beispiel eines Mannes von 50 Jahren, dessen Arbeitskraft mit der seiner jüngeren Kollegen nicht mehr Schritt hält. Seine verminderte Leistung verringert aber den Lohn seiner im Akkord arbeitenden Gruppe. Man will ihn deshalb herausdrängen und erreicht, daß man ihn für andere, für Hilfsarbeiten einsetzt. Seine Entlassung ist abzusehen. Diese Demütigung und eine Reihe von privaten Fehlschlägen treffen zusammen, um ihn »fertigzumachen« und die Ereignisse in einer Katastrophe enden zu lassen . . . . Die Welt der Arbeit wird ohne Sentimentalität geschildert, die Dialoge sitzen. Einmal, als jemand einen Einstand zu geben hat, wird er gefragt: »Wo bleibt der Kasten Betriebsklima?« Das ist gut gehört, und läßt darüber nachdenken, ob solche Stücke nicht auch wegen des Betriebsklimas gelegentlich ins Programm geworfen werden wie ein Kasten Bier.” -
1980 sendete das ZDF den von der CCC produzierten und von Renke Korn nicht nur geschriebenen, sondern auch inszenierten Film TILT. Der Film stellt eine Woche im Leben von fünf Jugendlichen dar und ihre vergeblichen Versuche, aus dem Gefängnis ihrer Perspektivlosigkeit auszubrechen. Eckhart Schmidt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG: “Als ich die ZDF-Vorausinformationen las, befürchtete ich einen Fernsehfilm, der, vermeintlich dicht an der Wirklichkeit, jugendliche Konflikte schön übersichtlich zurechtlegt, der sogenannten »Gesellschaft« wieder einmal ihr verheerendes Versagen zuweist und die Eltern zu überraschenderweise beweglichen Phantomen eines dramaturgischen Horror-Kabinetts degradiert. Renke Korn (Buch und Regie) tappste in keine dieser verbreiteten Fallen. Er wollte nichts »beweisen« und auch keinerlei weise Erkenntnisse in demagogisch-demonstrative Szenen »packen« . Ihm ging es um eine Zustands- und Situationsbeschreibung einiger Jugendlicher zwischen Arbeit und Arbeitslosigkeit, zwischen Frustration, Ausbruchsversuchen aus einem absehbar lebenslänglichen Trott und der rührenden Hilflosigkeit Gesetzen, Gesetzmäßigkeiten und Regeln gegenüber, mit denen jeder dann automatisch konfrontiert wird, wenn er heutzutage die ihm nahegelegten Regeln überschreitet. Jugendarbeitslosigkeit und der Mangel an Lehrstellen, die oft diskutierten Probleme, spielten eine Rolle. Korn traf aber darüber hinaus faszinierend das Lebensgefühl einer Generation, die am traurigen Beispiel ihrer Eltern längst begriffen hat, was eine ungeliebte Arbeit mit dem Menschen anrichtet, selbst aber nicht die Kraft, die Phantasie und die Voraussetzungen mitbringt, die vielleicht mögliche individuelle Alternative zu leben. Die Hoffnung auf eine Wende zeichnet sich nicht ab, selbst das Gangsterabenteuer endet trostlos und tödlich. - Überzeugend an dieser spannenden Talentprobe aus Berlin war auch, daß Korn die sich eskalierenden Geschichten von fünf Freunden (glaubhaft: die Besetzung) ohne gewaltigen Dialogballast ineinander zu verschachteln verstand und an den Kulminationspunkten allein auf das Bild vertraute. Die Frage, die sich nach diesem Film stellt, lautet nicht mehr, welche Partei, Gewerkschaft oder Gesellschaftsordnung das Blatt wenden kann, die Frage ist, welches vielleicht totalitäre »Ideal« in wie naher Zukunft den hier geschilderten Frust mißbrauchen und mit einem neuen »Sinn« versehen wird.”
Ein Jahr später hat Renke Korn als einer der ersten in dem Fernsehfilm ZUHAUS UNTER FREMDEN ( Regie: Peter Keglevic; Produktion: SFB und ORF ) die Problematik türkischer Einwanderer thematisiert. Auch hier schilderte er einen Ausbruchsversuch, den einer jungen Türkin, die durch die Liebe zu einem Deutschen ( gespielt von Herbert Grönemeyer ) erfahren muß, in welchem Niemandsland sie lebt zwischen der Tradition ihrer Eltern und der Selbstbestimmung ihrer deutschen Altersgenossinnen. - Klaus Wienert schrieb dazu in seiner Vorbesprechung im TAGESSPIEGEL: “Die Integration der in Deutschland aufgewachsenen oder geborenen Gastarbeiterkinder gilt als ein vordringliches innenpolitisches Thema: Fast eine Million meist türkischer Jugendlicher lebt in diesem Lande in einem konfliktträchtigen Zwiespalt - sie sind konfrontiert auf der einen Seite mit ihren an einer türkisch-islamischen Tradition festhaltenden Eltern und auf der anderen Seite mit dem von technischem Fortschritt, Liberalität und Leistungsdenken geprägten deutschen Alltag. - Wie das in der Praxis aussehen kann, wenn ein türkischer Halbwüchsiger einerseits den Kontakt zur alten Heimat verloren und andererseits noch keinen festen Anschluß an die neue Heimat gefunden hat, veranschaulicht ein Fernsehfilm des SFB: »Zuhaus unter Fremden« von Renke Korn (Buch) und Peter Keglevic (Regie) erzählt in Form einer poetisch-politischen Parabel die Geschichte einer Gastarbeitertochter, die durch ihre Liebe zu einem Deutschen den Bruch mit der Familie und damit der türkischen Vergangenheit riskiert. - Der Berliner Autor Renke Korn, durch Filme wie »Vera Romeyke ist nicht tragbar«, »Der Alte«, »Architekt der Sonnenstadt« , und »Tilt« als engagierter Anwalt gesellschaftlicher Randgruppen ausgewiesen, wurde mit dieser bislang völlig ungelösten Problematik konfrontiert, als er in der Kreuzberger Grundschule seiner Tochter zum Elternvertreter gewählt wurde; in diesem Viertel ist der Anteil der Ausländerkinder auf fast 25 Prozent angewachsen. Hier, in »Klein-Anatolien« , wie es manche ironisch nennen, wird die Perspektivelosigkeit dieser Kinder besonders deutlich - mangelnde Ausbildungschancen, mangelnde Kontakte zu gleichaltrigen Deutschen und mangelnde Freizeitmöglichkeiten stempeln diese »verlorene Generation« von vornherein zu benachteiligten Außenseitern. Renke Korn meint: »Sie fühlen auf Schritt und Tritt, daß sie Menschen zweiter Klasse sind, spüren - gerade wenn es sich um türkische Jugendliche handelt - die gewaltige Kluft zwischen der Lebensweise, der ihre Eltern aus der kulturellen Tradition ihrer Heimatländer heraus noch verhaftet sind und ihnen zu vermitteln suchen, und der deutschen, wissen nicht, ob sie nun noch Ausländer sind oder schon Deutsche, sehen sich in einem Niemandsland, desorientiert, entwurzelt.« - Die Liebesromanze, die Korn und Keglevic nun vorführen, zeigt alle diese gesellschaftlichen Probleme ohne demonstrativen Gestus, sie bezieht sie vielmehr nahtlos ein in die Geschichte: Der junge deutsche Arbeiter, ein optimistischer Hans-Dampf-in-allen-Gassen, lernt die junge Türkin eines Tages zufällig kennen und ist von ihrer fremdartigen Schönheit und ihrer Ausstrahlung beeindruckt - trotz der handgreiflichen Widerstände der Familie bemüht er sich immer und immer wieder um das Mädchen, bis es in dieser Beziehung eine Chance erkennt, sich von ihrem traditionsbewußten Elternhaus zu emanzipieren. - Die Qualität dieser SFB-Produktion ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen: zum einen gelingt es Renke Korn, seinen gesellschaftskritischen Ansatz hinter lebendige Figuren zu stellen; zum anderen führt der österreichische Nachwuchsregisseur Peter Keglevic seine Darsteller zu überzeugend realistischer Leistung, auch wenn er manche Liebesstimmung allzu gefühlvoll ausmalt. Zum dritten stand mit dem Polen Edward Klosinski (der unter anderem auch für Andrzej Wajda drehte) ein überaus professioneller Kameramann zur Verfügung. - Die Laiendarstellerin Aysun Bademsoy verkörpert überzeugend das türkische Mädchen, in der Rolle des Bruders und der Mutter sind tatsächlich ihr Bruder Tayfun und ihre Mutter Sabahat zu sehen; die Entdeckung dieser drei geht zurück auf die Empfehlung des Schaubühnen-Darstellers Meray Ülgen, der den Vater spielt. Als deutscher Junge agiert Herbert Grönemeyer.”
Parallel zu seiner Arbeit als Autor und Regisseur engagierte sich Renke Korn – seit 1967 in engem Kontakt mit der Außerparlamentarischen Opposition – in kulturpolitischen Belangen: 1969 als Mitgründer des Verlags der Autoren, von 1973 bis 1979 als Vorstandsmitglied der Berliner Sektion des Schriftstellerverbandes, 1986 bis 1990 als Mitgründer und Vorstandsmitglied des Verbandes Deutscher Drehbuchautoren, 1986 als Initiator des jährlichen Berliner Festivals “Woche des Hörspiels” in der Akademie der Künste und von 1993 bis 1995 als Leiter der Berliner Hörspieltage. -
Da ab Mitte der achtziger Jahre die deutschen Fernsehspielredaktionen mehr und mehr das Interesse an sozialkritischen Themen, die Renke Korn bevorzugte, verloren, konzentrierte er sich wieder auf das Hörspiel und hierbei insbesondere auf das Originalton-Hörspiel. Über das erste dieser Art „Der gute Mensch von Kreuzberg oder Ich will kein Hausbesitzer sein“, das Renke Korn zusammen mit dem Autor Christof Teubel realisierte, schrieb die Kritikerin Ruth Kotik in der FUNKKORRESPONDENZ vom 26.5.1983: „Aus der Montage von Ausschnitten von Erzählungen des Hausbesitzers und von acht Mietern, die die Chronologie der Geschichte rekonstruiert, ergibt sich ein breites Spektrum menschlicher Motivationen und Verhaltensweisen mit ihren durchschaubaren Verankerungen in einerseits verinnerlichten traditionellen und andererseits ideologisch bedingten Rollen. Die Stimmen machen sich sehr bald erkennbar, sind vom Hörer leicht identifizierbar und entwickeln sich zu realen Figuren mit Charakterzügen. Dasselbe Thema, genauestens recherchiert und dann ins Fiktive, d. h. in ein normales, von Schauspielern gespieltes Hörspiel umgesetzt, könnte wohl kaum eine solche Dichte und Überzeugungskraft erreichen.“ -
Auch das nächste O-Ton-Hörstück „Das kalte Büffet der Perlons“ fand viel Anerkennung und wurde von fast allen ARD-Rundfunkanstalten gesendet. “Jammerschade ist es, bei diesem Hörspiel alleine vor dem Radio zu sitzen, diesen Frauen zuzuhören, die ironisch-getragen im Chor Schlager der 50er Jahre singen, die erzählen, sich schieflachen und so viel geballte Komik, so viel Vitalität verbreiten, daß ein passiver Hörer in seiner Isolation ganz zappelig wird.“ So begeistert beginnt Sybille Simon-Zülch ihre Besprechnung des Hörstücks im EPD vom 1.8.1984. „Diese »Perlons«, zwölf Frauen zwischen dreißig und vierzig, singen zum eigenen Vergnügen (und häufig auch zum Vergnügen anderer in Kneipen und auf Festen) Schlager, mit denen sie aufgewachsen sind - ohne den Anspruch professioneller Perfektion, dafür mit umso mehr Spaß an der Persiflage. Bei einem ihrer wöchentlichen Treffen nun wurde die Idee ausgebrütet, den Zustand der Männerlosigkeit zu durchbrechen, fremde Männer anzusprechen und zum kalten Buffet einzuladen. Eine Idee, deren Genese und Realisierung einige der »Perlons« in Korns Hörspiel ausgiebig beschreiben - ach was »beschreiben«: die Frauen sprudeln, elektrisieren; sie erzählen, oft haltlos vor Lachen, sich selbst parodierend und mit einer Offenheit, die unbefangen und hochsensibel zugleich ist. Sie erzählen von ihren Erfahrungen mit der Umkehrung üblichen Rollenverhaltens. »Wir haben die Sau rausgelassen«, »wir waren so ordinär und gemein, daß ich öffentlich nicht dazu stehen könnte« - so fing es an, so zog es sich monatelang hin, das Ausspinnen der Phantasien, wo man welche Art von Männern kennenlernen könnte. »Wie Männer am Biertisch« kamen sich die »Perlons« vor, und »die Backen taten jedesmal weh vom Lachen«, bis die Phase des genüßlichen Phantasierens von einigen beendet wurde, die auf Taten drängten und ein Datum festsetzten.“ -
Neben solchen Originalton-Hörspielen schrieb Renke Korn aber auch weiterhin „normale“ Hörspiele. Dazu Michael Töteberg in seinem Essay über Renke Korns Hörspiele in einem Programmheft von 1993 des Verlags der Autoren ES IST SO WIE ES IST – MUSS ABER NICHT SO BLEIBEN: “Regelmäßig einmal in der Woche treffen sich die »Perlons«, zwölf Frauen, zu Gesang und Tanz, doch diesmal verläuft der Abend anders als sonst: Man hat Unbekannte - Männer! - auf der Straße angesprochen und zu einem kalten Buffet eingeladen. - Aus Lagos erhält Margit eine letzte Botschaft von Werner. Vor seinem Tod hat er ein Tonband besprochen, eine Nachricht, die sie die Stationen ihrer Liebe noch einmal durchleben läßt. - Der neue Hausbesitzer will kein Hausbesitzer sein: Der Alt-68er lehnt die traditionelle Rolle ab und bemüht sich um eine neues Verhältnis zu den Mietern, am Ende aber ist die Hausgemeinschaft in einem schlimmeren Zustand als je zuvor. - Auf einem Frachter im roten Meer soll ein blinder Passagier auf Befehl des Kapitäns auf einem Floß ausgesetzt werden; nur ein Seemann widersetzt sich diesem Todesurteil. - Geschichten, erfundene und gefundene. DAS KALTE BÜFFET DER PERLONS und DER GUTE MENSCH VON KREUZBERG sind Originalton-Hörspiele, NIGGER und LETZTE BOTSCHAFT AUS LAGOS literarische Fiktionen. So unterschiedlich die Themen und Stile auch sind, gemeinsam ist allen Arbeiten Renke Korns die soziale Neugier: Wie leben die Menschen zusammen? Er spürt die Risse auf: in Liebes- und Familienbeziehungen, in Zwangs- oder in Wahlgemeinschaften. Sein Interesse gilt den Übertretungen und Experimenten: Ausbruchs- und Emanzipationsversuche, Aussteigertraum und Rollentausch. Und er verschweigt nicht, daß so manche schöne Utopie im Katzenjammer endet. Korn markiert diese Punkte, in denen das Scheitern offensichtlich wird: wo bemühte Freundlichkeit in Fremdheit und Gleichgültigkeit in Haß umschlägt. - Das Originalton-Hörspiel ist, darin unterscheidet es sich vom Feature, Literatur. Das Material des Autors bilden nicht am Schreibtisch formulierte Sätze, sondern meist unbekannten Protagonisten entlockte und aufgezeichnete Erzählungen und Bekenntnisse, im Studio strukturiert und montiert. Was Ruth Kotik in ihrer Besprechung von MEIN VATER UND ICH schreibt, gilt für alle O-Ton-Arbeiten Renke Korns: »Sie weisen Tiefenstrukturen auf, die weit über das konkret Gesagte hinaus vieles offenlegen: z.B. die schichtenspezifische Eingebundenheit des Menschen in die Gesellschaft, seine Prägung durch die Familie, die Unmöglichkeit, sich ihr zu entziehen und vieles andere mehr.« Die Kunst des Autors von Originalton-Hörspielen läßt sich an diesem Beispiel gut aufzeigen. Sie beginnt damit, einen Menschen gefunden zu haben, der vor dem Mikrofon Ungewöhnliches und Aufschlußreiches zu erzählen weiß - hier eine Berlinerin, die Kotik eine einmalige Entdeckung nennt: »Schon deshalb, weil die Geschichte, die sie beseelt und die sie so wunderbar erzählt, unwiederholbar ist. Auch in der vorzüglichen Art, wie sie Renke Korn als Autor und Regisseur - anscheinend gegen alle Regeln verstoßend - strukturiert hat.« - Literarische Fiktion oder authentisches Dokument, der Alltag vor unserer Tür und das Abenteuer in weiter Ferne, der Autor Renke Korn fährt weder thematisch noch formal eingleisig. Zwei neue Hörspiele - beide im November urgesendet - stehen für die kontinuierliche Fortsetzung seiner radiophonischen Arbeit: UNTER WASSER SEHE ICH AUS WIE EIN HAI (WDR) schildert die Urlaubstage zweier Ehepaare auf Kreta. Die Männer sind Arbeitskollegen in einer Leipziger Werbeagentur. »Korn schickt weniger vier Individuen, sondern zwei Mentalitäten auf die Reise in den sonnigen Süden«, heißt es in der Funk-Korrespondenz. »Da ist die westdeutsche Identität, die den Aufstieg sucht, kampfbereit ist, durchsetzungsfähig, aber auch oberflächlich. Der ostdeutschen Mentalität fehlen diese Vorgaben vollständig: künstlerisch orientiert, vergangenheitsbezogen, psychosomatisch auffällig, ehrlich, lieb, schlicht, naiv - und erfolglos.« - Im O-Ton-Hörspiel WARUM SCHREIT DAS KIND DER WEISSEN FRAU SO VIEL (RIAS) läßt Korn die Berlinerin Monika ihre Lebensgeschichte erzählen: von ihrer Freundschaft und Ehe mit dem Singhalesen Rienzi, einer schwierigen und schließlich gescheiterten Beziehung. Ihr Bericht ist spannend und eindrucksvoll, weil sie sich der Frage stellt: Wie weit bin auch ich nicht frei von kulturellem Hochmut und weißem Rassedünkel? Als »Beitrag zur Aufklärung des schwierigen Themas, das gerade im neuen Deutschland der Fremdenfeindlichkeit aktueller ist denn je«, bewertet Jochen Rack in der Funk-Korrespondenz das Hörspiel. Renke Korn greift Zeitfragen auf, gibt jedoch keine vorschnellen Antworten. Hier soll nichts bewiesen werden: Korn macht Menschen nicht zu Demonstrationsobjekten, sondern läßt sich auf fremde Erfahrungen ein. Er beobachtet, ohne zu beschönigen - ES IST SO, WIE ES IST, doch so wie es ist, ist es nicht gut: Korn ist ein politisch engagierter Autor. Für ihn ist das Hörspiel ein »Forum der genauen, lebendigen, von Erfahrung gespeisten, zärtlichen, wütenden, provozierenden Auseinandersetzung mit unserer Wirklichkeit«.-
1995 legte Renke Korn mit DAS KLOPFEN, vom WDR produziert und 1996 bei den Internationalen Österreichischen Hörspieltagen in Rust am Neusiedler See mit dem Spezialpreis des Publikums „Slabesz“ ausgezeichnet, sein bislang letztes Hörspiel vor. Er kaufte sich 1999 in einem kleinen Dorf an den südlichen Ausläufern des Ida-Gebirges auf Kreta ein altes, halb verfallenes Bauernhaus, und es machte ihm „bei dem idyllischen Bewußtsein, das mich dort befiel, mehr Spaß, an dem Haus herumzubasteln als zu schreiben.“
Erst 2004 meldete er sich wieder zu Wort, mit dem Erzählungsband „Der Mann, der die Vögel liebte“. Jochen Crywatsch schrieb darüber im WESTFALENSPIEGEL ( 1/2005 ): “Fünf Geschichten sind in dem Band versammelt, die den Leser unweigerlich in den Bann ziehen. Korn ist darin den Tiefen und Untiefen zwischenmenschlicher Beziehungen auf der Spur. In den Fokus gerückt werden vor allem Männerfreundschaften, die stets ebenso überraschende wie eigenartige Wendungen nehmen. Dabei halten die Texte die Waage zwischen realistischer Darstellungsgenauigkeit und einem ausgeprägten Gespür für die Zwischentöne in menschlichen Beziehungen, mit denen sich das Abgründige, das Subversive ankündigt.” -
Ab 2001 hatte Renke Korn auch noch eine neue Leidenschaft entwickelt. Er hatte die Möglichkeiten der Gestaltung von Computergrafiken entdeckt, und damit rückte die Malerei, die in seinem bisherigen Leben zwar immer eine wichtige, aber doch nachgeordnete Rolle gespielt hatte, ins Zentrum seiner Kreativität.
Sigrid Oehme
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