Interview mit Renke Korn zu seinem Stück “Das Attentat auf das Pferd des Brasilianers Joao Candia Bertoza”
In Ihrem Stück antwortet der Angeklagte Rentorf auf die Frage, was er mit seinem Attentat auf das Pferd des Brasilianers erreichen wollte: "Es genügt mir, wenn einige Leute nachdenklich werden.” Wäre das auch Ihre Antwort auf die Frage, was Sie erreichen wollen, wenn Sie schreiben?
Manchmal bin ich kleinmütig und denke, daß es mir genügen muß; dann wieder bin ich optimistisch und hoffe, daß ich nicht nur einige, sondern sehr viele nachdenklich machen kann und nicht nur nachdenklich.
Sie haben für den Funk, fürs Fernsehen und für das Theater geschrieben. Welches dieser drei Medien bevorzugen Sie?
Das wechselt. Ob aus dem, was ich schreibe, ein Theaterstück oder ein Hörspiel oder ein Fernsehspiel wird, hängt im wesentlichen vom Thema und vom Stoff des Projektes ab. Der eine Stoff bietet sich mehr für das Theater an, der andere mehr für das Fernsehen - entsprechend den verschiedenen Möglichkeiten dieser Medien.
Hängt die Wahl des Mediums nur von dem Stoff ab, den Sie bearbeiten oder auch von dem Publikum, das Sie jeweils ansprechen wollen?
Da ich nicht nur für mich selbst schreiben will, muß ich mir natürlich beim Schreiben ständig die Fragen bewußt halten: W e n willst du erreichen und w a s willst du erreichen? - Ich muß die Probleme meines potentiellen Publikums kennen, seinen Informations- und Bewußtseinsstand und muß danach Thema, Form und Inhalt dessen, was ich schreibe, ausrichten. Nun wäre es aber konservativ, wenn ich z. B. meine Theaterstücke nur und ausschließlich auf den Geschmack des Publikums ausrichten würde, das j e t z t ins Theater geht. Es geht zur Zeit kaum ein Arbeiter ins Theater. Der Grund ist einfach: seine Probleme und seine Erfahrungen kommen dort nicht zur Sprache. I h n hätte ich aber gern im Theater, und das erreiche ich nur, wenn ich in dem, was ich schreibe, auf seine Interessen und Bedürfnisse eingehe.
Was wollen Sie bei diesen Zuschauern, für die Sie schreiben, erreichen?
Ich bemühe mich, die Realität zu zeigen, in der die Zuschauer leben. Ich hoffe, sie ihnen so zu zeigen, daß sie in die Lage versetzt werden, diese Realität kritischer zu sehen, sie analytisch durchdringen und dann auch verändern zu können.
Sie betrachten das Theater also als ein mögliches Instrument, politisch wirken zu können?
Ich meine, daß Theater immer politisch ist, auf direkte oder vermittelte Weise. Jedes Stück kann daraufhin analysiert werden, inwieweit es die bestehende gesellschaftliche Ordnung bestätigt, rechtfertigt, als naturnotwendig und gottgewollt reproduziert oder sie kritisch seziert, angreift und als veränderbar darstellt. Die Frage ist also nicht, ob ich politisches Theater machen will oder nicht, sondern w e 1 c h e Politik ich mit dem Theater machen will. In Ihre Frage spielt das alte Problem hinein: Soll am Theater Politik gemacht werden oder Kunst? Ich halte das nicht für einen Gegensatz. Ich will mit meinem Theaterstück eine Wirkung erzielen; mein Theaterstück ist dann gut, wenn es diese Wirkung erreicht.
Welche Formen des Theaters bevorzugen Sie persönlich, um diese Wirkung zu erzielen?
Nach dem, was ich bisher geschrieben habe, würde man, glaube ich, sagen, daß ich die realistische Schreibweise bevorzuge. Ich nehme einmal diese Bezeichnung, obwohl "Realismus" als Stil schwer zu definieren ist.
Was ist Ihrer Meinung und Ihrer Erfahrung nach der Vorteil der von Ihnen bisher benutzten realistischen Methode?
Ich hoffe, daß ich so schreibe, daß der Zuschauer seine Wirklichkeit und seine Probleme auf der Bühne wiederfindet, aber so wiederfindet, daß sie für ihn durchschaubar und analysierbar werden.
Um auf das Stück jetzt konkret zu sprechen zu kommen. Sie berühren drei Hauptthemen: zum einen die politische Gerichtssbarkeit in der Bundesrepublik, zum andern die Frage, welche Möglichkeiten hat jemand in der Bundesrepublik, sich politisch zu artikulieren und politisch zu wirken, und drittens den Themenkreis Brasilien, Lateinamerika, Entwicklungsländer, Dritte Welt. Welches dieser drei Themen ist Ihnen am wichtigsten?
Ich würde sagen: alle drei, zumal letztlich alle drei Probleme auf das gleiche Fremdproblem verweisen, auf das Problem des Kapitalismus. Aber wenn ich da etwas akzentuieren soll: es geht mir sehr stark darum, die Motive eines solchen Täters aus politischer Überzeugung einer größeren Öffentlichkeit zu vermitteln - unverstellt durch die Presse, die solche Täter mit Eifer zu Verrückten und Wirrköpfen macht.
Benutzen Sie das Theater, genau so wie der Angeklagte im Stück die Gerichtsverhandlung benutzt, als Forum, um eine Informationslücke zu schließen oder mindestens zu verkleinern?
Ja, wobei ich die spezifische Möglichkeit des Theaters nutzen will, um Informationen intensiver, sinnlicher zu vermitteln, als es Sachbücher und Zeitungsartikel vermögen.
Würden Sie Ihr Stück als Informationstheater bezeichnen?
Sie wissen, es gibt eine Ästhetik, die Kunst als eine spezifische Art von lnformationsvermittlung definiert bzw. nur dann etwas als Kunstwerk anerkennt, wenn es eine neue Information vermittelt. Selbstverständlich möchte ich, daß der Zuschauer, der ein Stück von mir gesehen hat, mehr weiß als vorher, daß ihm etwas klarer ist als vorher, daß er seine Probleme besser durchschaut als vorher - insofern: Informationstheater.
(Das Gespräch mit Renke Korn führte Georg Immelmann. Es wurde im Programmheft der Uraufführung des Stückes am Stadttheater Aachen veröffentlicht.)
|