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Das Attentat auf das Pferd des Brasilianers Joao Candia Bertoza
Süddeutsche Zeitung v. 13. 2. 73
“Einige Schauspieler kommen mit dem Publikum in den kleinen Theaterraum, stehen auf der Bühne herum und warten auf den Beginn - wie das Publikum selbst, das schon bald merkt, welche Rolle ihm hier zugespielt wird: jene von Zuschauern bei einer Gerichtsverhandlung. Diese beginnt mit dem Auftritt des Richters und zweier Schöffen. Der Angeklagte ist ein junger Mann, dem Sachbeschädigung vorgeworfen wird. Während eines Springturniers in Münster ist er auf den Parcours gerannt und hat ein Pferd, das gerade seine Sprünge absolvierte, mit einem Pistolenschuß so schwer verletzt, daß es erschossen werden mußte.
»Das Attentat auf das Pferd des Brasilianers Joao Candia Bertoza« ist das jüngste Stück von Renke Korn, der vor allem durch seine originelle und fesselnde szenische Collage »Partner« bekannt geworden ist. Die Intention des jetzt in den Aachener Kammerspielen uraufgeführten Stückes ist völlig eindeutig. Da das Gericht von den Motiven des Angeklagten nicht völlig absehen kann, müssen auch diese verhandelt werden, und zu keinem anderen Zweck als öffentlicher Verhandlung der Tatmotive wurde das Attentat ausgeführt und das Stück verfaßt. Der Reiter, Besitzer eines renommierten Reitstalles, ist Sohn einer steinreichen Familie der brasilianischen Oberschicht. Der Angeklagte hatte nichts anderes im Sinn, als mit optimaler öffentlicher Wirkung auf die rabiate Ausbeutung hinzuweisen, der solcher Reichtum zu verdanken ist, und auch auf den Anteil bundesrepublikanischer Interessen an der Ausbeutung.
Vernehmungen des Angeklagten, Zeugenvernehmungen, Plädoyers, Schuldspruch und Höchststrafe, denn das geltende Recht wie die Meinung des Richters und der Schöffen reagieren bei besagter Tatmotivation besonders empfindlich. Es gelingt Renke Korn, und es gelang der Aufführung, beim Ablauf dieses Vorganges das Gefühl zu stimulieren, es geschehe da, indem anerkanntes Recht gesprochen wurde, doch ein elementares Unrecht. Wie unter dem Vergrößerungsglas wurde eine neue Grenze zwischen Recht und Unrecht sichtbar.
Die auf Umfunktionierung des Theaterpublikums in Publikum bei einer Gerichtsverhandlung setzende Fiktion, eine ganz normale Gerichtsverhandlung laufe auf der Bühne ab, wurde in der Inszenierung von Georg Immelmann mit imponierender Sorgfalt durchgehalten. Unaufdringlich wurde dabei spürbar, daß diese Verhandlung Beispiel für einen sehr viel größeren geschichtlichen Prozeß ist. Die Leistung der Schauspieler und des Regisseurs lag in diesem Fall darin, daß ein Nichtspielen gespielt wurde, und das konsequente Understatement erzeugte eine erstaunliche Spannung.
Ein vorzüglicher Einfall war es, während der Pause zwei fiktive Reporter per Tonband Umfragen beim Publikum über ihre Meinung zum Prozeß machen zu lassen, aus denen während der Urteilsberatung des Gerichts kurz vor Schluß Ausschnitte in den Saal geblendet wurden. Das verdeutlichte noch einmal, in welchem Maß die offenbar unvermeidliche Bestrafung für eine Tat, die auf unabsehbares Unrecht hinweist und Gerechtigkeit fordert, ein Dilemma nicht nur einzelner Richter, sondern unserer Gesellschaft ist.” Heinrich Vormweg
Foto: Klaus Herzog
Vgl. auch das Interview mit Renke Korn zu diesem Stück
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