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Michael Töteberg
Es ist so, wie es ist. Muß aber nicht so bleiben
Über Renke Korns Hörspiele
Regelmäßig einmal in der Woche treffen sich die »Perlons«, zwölf Frauen, zu Gesang und Tanz, doch diesmal verläuft der Abend anders als sonst: Man hat Unbekannte - Männer! - auf der Straße angesprochen und zu einem kalten Buffet eingeladen. - Aus Lagos erhält Margit eine letzte Botschaft von Werner. Vor seinem Tod hat er ein Tonband besprochen, eine Nachricht, die sie die Stationen ihrer Liebe noch einmal durchleben läßt. - Der neue Hausbesitzer will kein Hausbesitzer sein: Der Alt-68er lehnt die traditionelle Rolle ab und bemüht sich um eine neues Verhältnis zu den Mietern, am Ende aber ist die Hausgemeinschaft in einem schlimmeren Zustand als je zuvor. - Auf einem Frachter im roten Meer soll ein blinder Passagier auf Befehl des Kapitäns auf einem Floß ausgesetzt werden; nur ein Seemann widersetzt sich diesem Todesurteil.
Geschichten, erfundene und gefundene. DAS KALTE BÜFFET DER PERLONS und DER GUTE MENSCH VON KREUZBERG sind Originalton-Hörspiele, NIGGER und LETZTE BOTSCHAFT AUS LAGOS literarische Fiktionen. So unterschiedlich die Themen und Stile auch sind, gemeinsam ist allen Arbeiten Renke Korns die soziale Neugier: Wie leben die Menschen zusammen? Er spürt die Risse auf: in Liebes- und Familienbeziehungen, in Zwangs- oder in Wahlgemeinschaften. Sein Interesse gilt den Übertretungen und Experimenten: Ausbruchs- und Emanzipationsversuche, Aussteigertraum und Rollentausch. Und er verschweigt nicht, daß so manche schöne Utopie im Katzenjammer endet. Korn markiert diese Punkte, in denen das Scheitern offensichtlich wird: wo bemühte Freundlichkeit in Fremdheit und Gleichgültigkeit in Haß umschlägt.
Das Originalton-Hörspiel ist, darin unterscheidet es sich vom Feature, Literatur. Das Material des Autors bilden nicht am Schreibtisch formulierte Sätze, sondern meist unbekannten Protagonisten entlockte und aufgezeichnete Erzählungen und Bekenntnisse, im Studio strukturiert und montiert. Was Ruth Kotik in ihrer Besprechung von MEIN VATER UND ICH schreibt, gilt für alle O-Ton-Arbeiten Renke Korns: »Sie weisen Tiefenstrukturen auf, die weit über das konkret Gesagte hinaus vieles offenlegen: z.B. die schichtenspezifische Eingebundenheit des Menschen in die Gesellschaft, seine Prägung durch die Familie, die Unmöglichkeit, sich ihr zu entziehen und vieles andere mehr.« Die Kunst des Autors von Originalton-Hörspielen läßt sich an diesem Beispiel gut aufzeigen. Sie beginnt damit, einen Menschen gefunden zu haben, der vor dem Mikrofon Ungewöhnliches und Aufschlußreiches zu erzählen weiß - hier eine Berlinerin, die Kotik eine einmalige Entdeckung nennt: »Schon deshalb, weil die Geschichte, die sie beseelt und die sie so wunderbar erzählt, unwiederholbar ist. Auch in der vorzüglichen Art, wie sie Renke Korn als Autor und Regisseur - anscheinend gegen alle Regeln verstoßend - strukturiert hat.«
Literarische Fiktion oder authentisches Dokument, der Alltag vor unserer Tür und das Abenteuer in weiter Ferne, der Autor Renke Korn fährt weder thematisch noch formal eingleisig. Zwei neue Hörspiele - beide im November urgesendet - stehen für die kontinuierliche Fortsetzung seiner radiophonischen Arbeit:
UNTER WASSER SEHE ICH AUS WIE EIN HAI (WDR) schildert die Urlaubstage zweier Ehepaare auf Kreta. Die Männer sind Arbeitskollegen in einer Leipziger Werbeagentur. »Korn schickt weniger vier Individuen, sondern zwei Mentalitäten auf die Reise in den sonnigen Süden«, heißt es in der Funk-Korrespondenz. »Da ist die westdeutsche Identität, die den Aufstieg sucht, kampfbereit ist, durchsetzungsfähig, aber auch oberflächlich. Der ostdeutschen Mentalität fehlen diese Vorgaben vollständig: künstlerisch orientiert, vergangenheitsbezogen, psychosomatisch auffällig, ehrlich, lieb, schlicht, naiv - und erfolglos.«
Im O-Ton-Hörspiel WARUM SCHREIT DAS KIND DER WEISSEN FRAU SO VIEL (RIAS) läßt Korn die Berlinerin Monika ihre Lebensgeschichte erzählen: von ihrer Freundschaft und Ehe mit dem Singhalesen Rienzi, einer schwierigen und schließlich gescheiterten Beziehung. Ihr Bericht ist spannend und eindrucksvoll, weil sie sich der Frage stellt: Wie weit bin auch ich nicht frei von kulturellem Hochmut und weißem Rassedünkel? Als »Beitrag zur Aufklärung des schwierigen Themas, das gerade im neuen Deutschland der Fremdenfeindlichkeit aktueller ist denn je«, bewertet Jochen Rack in der Funk-Korrespondenz das Hörspiel.
Renke Korn greift Zeitfragen auf, gibt jedoch keine vorschnellen Antworten. Hier soll nichts bewiesen werden: Korn macht Menschen nicht zu Demonstrationsobjekten, sondern läßt sich auf fremde Erfahrungen ein. Er beobachtet, ohne zu beschönigen - ES IST SO, WIE ES IST, doch so wie es ist, ist es nicht gut: Korn ist ein politisch engagierter Autor. Für ihn ist das Hörspiel ein »Forum der genauen, lebendigen, von Erfahrung gespeisten, zärtlichen, wütenden, provozierenden Auseinandersetzung mit unserer Wirklichkeit«.
- Dieser Artikel von Michael Töteberg erschien im Programmheft 5/1993 des Verlags der Autoren
Vergl. auch Renke Korn: Die Hörspielkunst oder Wer hört noch zu? |