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Störenfried

Christian Deutschmann

Sozialkritischer Störenfried, nicht Rebell

Seine Redebeiträge auf Gruppensitzungen, Tagungen und in öffentlichen Diskussionen haben Gewicht. Da spricht jemand, der es sich nicht so einfach macht, der nicht ein Künstler-Ego sprechen läßt, aber auch nicht Gruppensolidarität um jeden Preis. Renke Korn ist Autor und Regisseur von Theaterstücken, Filmen und Hörspielen, aber hat sich auch immer wieder direkt in gesellschaftliche und politische Vorgänge eingemischt: als Mitgründer des Verlags der Autoren, als Vertreter des Schriftstellerverbandes in Theaterfragen, als Mitgründer und Vorstandsmitglied des Verbandes Deutscher Drehbuchautoren . . . “Eine Lust, gesellschaftspolitisch mitzugestalten, ist da, keine Frage”, sagt er. “Doch zunächst bin ich Autor und Regisseur, alles andere ist Nebenbeschäftigung.” Gesellschaftliche und  politische Vorgänge beschäftigen Korn aber auch bei seiner schriftstellerischen Arbeit. “Nicht immer, aber ziemlich oft”, sagt Korn. “Sie interessieren mich - zumindest zur Zeit - einfach mehr als meine Befindlichkeit beim Anblick eines toten Vogels.” Doch er habe niemals die Absicht, mit einem Werk ein politisches Rezept zu predigen. “Ich sehe mich als Autor eher wie einen Forscher in einem fremden, faszinierenden Land, der die Phänomene, die ihn fesseln, im Schreiben zu begreifen versucht.”

Schaut man sich die Liste seiner Produktionen an, so wird einem klar, warum man seinen Arbeiten gern das Attribut “sozialkritisch” gibt, obwohl sie stets mehr sind als nur das. Themen aus der Arbeitswelt, Gastarbeiter, Berufsverbot, Rechtsextremismus.  Doch da gibt es eben noch etwas, was ihm Abnahme und Akzeptanz in den für ihre mäklige Haltung gegenüber solchen Stoffen berüchtigten Redaktionsstuben sichert. Es ist die Sorgfalt, mit der die Geschichten gebaut werden, und die “Echtheit” seiner Personen. Die zwei Hörspiele ”Nigger” und “Es ist so, wie es ist” ( beide sind am Sonntagabend um 20 Uhr in einer öffentlichen Vorführung in der Akademie der Künste am Hanseatenweg zu hören ) sind dafür Beispiel.

Beide Stücke stellen den einzelnen als Störenfried in einer im Mitläufertum geeinten Masse in den Mittelpunkt. Störenfried, nicht Rebell, Kritiker, nicht Revolutionär: diese Unterschiede sind Renke Korn wichtig. “Wenn sich jemand für die Veränderung der Welt einsetzt, nehme ich ihn nur dann ernst, wenn ich in seinem Verhalten eine moralische Substanz erkennen kann. In diesem Sinne war zum Beispiel Rudi Dutschke, der ja starke christliche Wurzeln hatte, für mich ein überaus faszinierender Mensch, und ich habe mich viele Jahre – wegen politischer Vorbehalte der Produzenten leider letztlich ohne Ergebnis – an einem Filmprojekt über ihn und das Attentat auf ihn abgearbeitet.” Die Reibungen und Konflikte zwischen Widerstand und Anpassung bezeichnet Korn denn auch als eines der Themen, die ihn immer wieder interessieren.

1938 geboren, kommt Korn, “väterlicherseits aus einer stark lutherisch-christlich geprägten Ecke des Sauerlandes. Unser Vater las jeden Morgen vor dem Frühstück aus den »Losungen« vor, hielt eine kleine Andacht, und dann wurde gebetet.” Mit 15 mußte der Sohn entdecken, daß die Mutter einst während der Nazi-Zeit aus Angst um die Familie den Umgang mit einer jüdischen Freundin abgebrochen hatte, weil der Vater, ein Studienrat, Mitglied der Bekennenden Kirche und sowieso schon in Bedrängnis, weil er nicht in der Partei war, dadurch in eine gefährliche Lage geriet. Irritation paart sich da mit Verständnis. “Ich tu mich sehr schwer, Leute zu verurteilen, auch wenn sie mitgeschwommen sind”, sagt Korn mit Blick auf die aktuelle Diskussion um Schuld oder Unschuld von Menschen, die in der DDR gelebt haben.

Radikalität ist seine Sache nicht. Nach einem Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie Mitte der 60er Jahre in Berlin gelandet, kam Renke Korn mit der Studentenbewegung in Berührung, ist “wacker mitmarschiert”, ohne sich jedoch – “mehr freischwebender Linker” – einer Gruppe anschließen zu können. “Ich war immer eher für Reformen als für Umsturzversuche. Sätze wie »Wir müssen erst alles kaputtschlagen, und dann bauen wir das Neue auf« brachten mich regelmäßig auf die Palme, erst recht wenn die großartigen Revolutionäre, die das sagten, nur Phrasen absonderten, wenn sie jenes Neue beschreiben sollten.”

1965 das erste Hörspiel: “Verteidigung eines Totengräbers”. 1967 das erste Theaterstück: “Die Überlebenden”. 1973 der erste Fernsehfilm: “Partner”.  Der Kinofilm “Vera Romeyke ist nicht tragbar” ( 1976, Regie: Max Willutzki )  - er beleuchtete die damals gerade besonders verschärfte Praxis der Berufsverbote – erhielt das Prädikat “besonders wertvoll” und lief auf den Filmfestspielen von Berlin, Cannes, Locarno, Paris und Moskau. Weitere Filme folgten, aber Renke Korn hat gleichzeitig auch immer wieder für das Radio gearbeitet. “Ich liebe es, Dialoge zu schreiben. Und ein Dialog ist eben zunächst einmal ein akustisches Element. Aber ob aus einer Idee ein Film oder ein Theaterstück oder ein Hörspiel wird, das hängt von vielen Faktoren ab. Oft ist da bereits am Anfang als Keimzelle ein optischer Einfall, mal ein akustischer. Der eine Stoff eignet sich mehr für dieses Medium, der andere mehr für jenes.” Und Korn spricht auch von “Phasen”, in denen er sich einem Medium mehr widme als den anderen, ihm mehr gerade dafür einfalle. “Und morgen kann es schon wieder anders ein. Vielleicht schreibe ich auch irgendwann einmal Erzählungen, Romane. Wer weiß? Ich bin neugierig und liebe den Wechsel. Deshalb muß ich immer wieder mal was Neues ausprobieren.”

 

  • Dieser Artikel von Christian Deutschmann erschien am 14.11.92 im “Tagesspiegel” anläßlich der öffentlichen Vorführung der Hörspiele “Nigger” und “Es ist so, wie es ist” von Renke Korn in der Berliner Akademie der Künste.

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