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"Der Traum kann das Fehlende nicht vergessen"
Interview mit Renke Korn zu seinem Film “Die Rückkehr der Träume”
Der Film wirkt autobiographisch. Ist er das?
Die Figuren meiner Stücke und Filme waren wohl immer autobiographisch in irgendeiner Form, oft mir selbst nicht bewußt. Hier, bei Alfred Lamms, war es mir bewußt, war auch gewollt, aber trotzdem bin ich nicht Alfred Lamms. Ich bin nie wie Lamms Schauspieler gewesen, habe aber als Autor für das Theater gearbeitet und kenne von daher zum Beispiel die Mitbestimmungsdebatten, die Anfang der siebziger Jahre an den Theatern geführt wurden und bei denen sich im Film Alfred Lamms engagiert. Ich wollte politisches Theater machen und ging dabei gelegentlich in ähnlicher Weise k.o. wie Alfred Lamms. Auf diese Weise ist der Film autobiographisch. Auch was die Vietnam-Demonstrationen betrifft oder die Kinderladen-Bewegung, da haben wir ähnliche Biographien. Oder etwa diese Episode, wo Lamms seine Schauspielerei aufgibt und in eine Fabrik geht: Ich habe zwischen 1963 und 1966 lange Zeit in Fabriken gearbeitet und hatte als Beamtensohn anfangs ganz schöne Schwierigkeiten, mit den Arbeitern die gleiche Sprache zu sprechen. Aber ich bin damals nicht wie Alfred Lamms in die Fabrik gegangen, um die Arbeiter zu agitieren - das haben später, als es nach 1968 diese spezifische ideologische Richtung gab, Bekannte von mir gemacht, mit mäßigem Erfolg. Da sind also eigene Erfahrungen und Erfahrungen von Freunden gemischt in den Film eingegangen.
Mir ist aufgefallen, daß sich bei Alfred Lamms die politische Auseinandersetzung in der Vergangenheit und in der Gegenwart stets mit Beziehungen zu Frauen verbindet. Er sucht auch die Lösung seiner Probleme nur über den Kontakt zu Frauen.
Das stimmt so nicht. Zwei seiner wichtigsten Stationen bei seiner Suche nach einer Orientierung sind Männer: sein früherer Schauspielerkollege Beseler und Dieter, der jetzt auf Kreta wohnt.
Das sind frühere Freunde, die er besucht. Aber in Berlin kennt er offenbar keinen Mann, mit dem er über seine Probleme sprechen kann. Nachdem Bettina ihn verlassen hat, verkriecht er sich in seiner Wohnung, und Kontakt hat er dann zunächst nur zu einer Arbeitskollegin und zu dieser Exfreundin, dieser Frau für eine Nacht.
Das hat aber doch Logik. Seine Frau verläßt ihn, und so versucht er zuerst mal, mit einer anderen Frau über seine Krise hinwegzukommen. Daß er keinen Freund hat, mit dem er seine Probleme besprechen kann, ist vielleicht symptomatisch. Männer sind in solchen Situationen, glaube ich, schlechter dran als Frauen. Sie öffnen sich nur, wenn überhaupt, gegenüber Frauen. Bei Männern haben sie Schwierigkeiten. Vielleicht weil sie Männern gegenüber keine Schwächen zuzugeben wagen. Da spielt sich noch zuviel an Konkurrenz, Neid und Imponiergehabe ab. Während bei Frauen: die sind ja auch immer ein wenig die Mutter. Da durfte man ja auch als Junge mal weinen, wenn's weh tat. Aber ich glaube, beim Film kommt noch etwas anderes hinzu: Die Beziehung Alfred-Bettina fliegt auseinander, weil sich Bettina weiterentwickelt, während Alfred in seiner Resignation stagniert. Die alte Rollenverteilung stimmt nicht mehr. Früher war Bettina das kleine Mädchen, das zu Alfred aufschaute. Das ist vorbei, und da liegt der Beginn der Krise. Das weiß Alfred. Er ist nicht nur politisch gescheitert, sondern auch privat in seiner Beziehung zu Bettina. Und beides mischt sich und hängt voneinander ab. Bettina hat eine politische Perspektive, er nicht mehr. Deshalb ist er für Bettina zum nörgelnden Lahmarsch geworden. Sein politisches Scheitern bedingt insofern auch sein privates Scheitern. Dadurch wird er doppelt einsam. Für Alfred gibt es nur zwei Möglichkeiten, aus seiner Krise herauszukommen: eine neue intensive Beziehung zu einer Frau oder ein neues politisches Engagement. In beiden Richtungen sucht und probiert er.
Findet er dieses Engagement denn wirklich wieder? Im Gespräch mit Anna äußert er seine Skepsis gegenüber der Friedensbewegung - nach der Rückkehr von Kreta fährt er jedoch mit zur Demonstration. Überzeugt wirkt er aber eigentlich nicht.
Ist er auch nicht völlig. Die Skepsis, der Zweifel, das ist ja sein Problem. Er weiß am Schluß, daß er handeln muß, wenn er überhaupt noch mit irgendeinem Sinn leben will. Daß er also nicht wieder in den Winterschlaf fallen darf, in dem er die letzten Jahre lag. Die Ziele der Friedensbewegung hat er immer schon für richtig gehalten, seine Zweifel bezogen sich darauf, ob diese Ziele erreichbar sind. Auch die Ideale, die er früher hatte, 1968, sind ja an sich nicht verschwunden; was verschwunden war, ist der Glaube, daß sie realisiert werden können.
Hat er diesen Glauben schließlich wieder?
Er weiß, daß er keine andere Wahl hat, als wieder für seine Träume zu kämpfen - auch wenn er nicht sicher sein kann, daß er Erfolg haben wird.
Ich habe gewisse Schwierigkeiten mit dem Titel des Films. Suggeriert er nicht, daß die neuen Kämpfe genauso vergeblich sein werden wie die alten?
Der Titel des Films "Die Rückkehr der Träume' darf nicht interpretiert werden mit "Die Rückkehr der Illusionen”. Deshalb habe ich an den Anfang das Bloch-Zitat gestellt: "Der Traum kann das Fehlende nicht vergessen. Er hält in allen Dingen die offene Tür.” Das heißt, der Traum ist hier begriffen als etwas, was überhaupt die kreative Kraft in der Geschichte ist. Nur wer Träume hat, Wünsche, Hoffnungen, kann in der Realität vorwärtsschreiten. Wer keinen Traum hat, stagniert und verfällt. Der Träumer ist unrealistisch, aber das macht auch seine Kraft aus, er kann die Realität überschreiten. Einer, der immer nur realistisch ist, bleibt im Hier und Jetzt und kommt nicht vorwärts.
Alfred Lamms ist, das kann man vielleicht so sagen, ein Intellektueller. Ich frage mich, inwieweit seine Geschichte von der Masse der Zuschauer nachempfunden werden kann.
Ich weiß nicht ob der Begriff “Intellektueller” richtig ist. Alfred Lamms ist Sozialarbeiter. Ob er damit soziologisch unter die Kategorie “Intellektueller” fällt, weiß ich nicht. Ist aber auch egal. Ich glaube jedenfalls, daß seine Probleme, die der Resignation, des Zweifels, der Sinnleere nach dem Scheitern seiner Träume im politischen, beruflichen und privaten Bereich übertragbar sind und von nahezu jedem nachempfunden werden können. Ein aktiver Gewerkschafter etwa, der sich für die Belange seiner Kollegen einsetzt und sich dabei zerreibt zwischen der Macht der Betriebsleitung und der Apathie seiner Kollegen, hat sicher oft ähnliche Phasen der Resignation. Natürlich wird es Gruppen geben, die dieser Film mehr interessieren wird als andere. Aber ein Film über einen ehemaligen Angehörigen der APO ist nicht nur für Leute interessant, die selber dazugehörten. Mit der APO auseinandergesetzt hat sich damals fast die ganze Nation, das war ja das Reizthema Nummer eins.
Eine Frage zur Musik. Die verwendete Musik stammt fast durchweg von Van Morrison. Warum?
Es sind Lieder von Van Morrison, die zu der damaligen Zeit, also um 1968 herum, entstanden sind. Sie haben einen melancholischen Grundton, etwas, was verbal etwa mit der Zeile "lt´s all over now, Baby Blue” angedeutet wird. Diese Musik trifft mit ihrem wehmütigen Charakter die Stimmung Alfred Lamms', die Stimmung seiner Erinnerungen. Die haben ja auch was Nostalgisches. Damals, das war die Zeit, wo er sich stark gefühlt hat, wo er was wollte, wo er Ideen hatte und Hoffnungen.
(Das Gespräch mit Renke Korn führte Christof Teubel. Es wurde veröffentlicht im Programmheft “Das Fernsehspiel im ZDF” Nr. 41-1983)
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