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Zuhaus unter Fremden
Eine Liebesgeschichte in Berlin-Kreuzberg. Bernd lernt zufällig die junge Türkin Ayse kennen und verliebt sich in sie. Ayse gerät in ein Niemandsland. Hier die islamische Tradition, dort die freie Lebensweise ihrer deutschen Altersgenossinnen. Ihr Vater, der um seine Ehre fürchtet, versucht mit allen Mitteln ihre Beziehung zu Bernd zu beenden. Doch weder Prügel noch die Drohung, sie zwangsweise in die Türkei zu schicken, verfangen.
Als Ayses Bruder, seit langem arbeitslos, wegen Fahrens ohne Führerschein vom Räderwerk der deutschen Justiz erfaßt wird, sieht der Vater nur noch eine Möglichkeit, seine Familie vor der “deutschen Krankheit”, dem moralischen Verfall, zu retten: er verkauft sein Imbißlokal und kehrt mit seinen Angehörigen in die Türkei zurück. Doch Ayse entscheidet sich für Bernd. Sie bleibt in Deutschland.
Der Tagesspiegel
“Die Integration der in Deutschland aufgewachsenen oder geborenen Gastarbeiterkinder gilt als ein vordringliches innenpolitisches Thema: Fast eine Million meist türkischer Jugendlicher lebt in diesem Lande in einem konfliktträchtigen Zwiespalt - sie sind konfrontiert auf der einen Seite mit ihren an einer türkisch-islamischen Tradition festhaltenden Eltern und auf der anderen Seite mit dem von technischem Fortschritt, Liberalität und Leistungsdenken geprägten deutschen Alltag.
Wie das in der Praxis aussehen kann, wenn ein türkischer Halbwüchsiger einerseits den Kontakt zur alten Heimat verloren und andererseits noch keinen festen Anschluß an die neue Heimat gefunden hat, veranschaulicht ein Fernsehfilm des SFB: »Zuhaus unter Fremden« von Renke Korn (Buch) und Peter Keglevic (Regie) erzählt in Form einer poetisch-politischen Parabel die Geschichte einer Gastarbeitertochter, die durch ihre Liebe zu einem Deutschen den Bruch mit der Familie und damit der türkischen Vergangenheit riskiert.
Der Berliner Autor Renke Korn, durch Filme wie »Vera Romeyke ist nicht tragbar«, »Der Alte«, »Architekt der Sonnenstadt« , und »Tilt« als engagierter Anwalt gesellschaftlicher Randgruppen ausgewiesen, wurde mit dieser bislang völlig ungelösten Problematik konfrontiert, als er in der Kreuzberger Grundschule seiner Tochter zum Elternvertreter gewählt wurde; in diesem Viertel ist der Anteil der Ausländerkinder auf fast 25 Prozent angewachsen. Hier, in »Klein-Anatolien« , wie es manche ironisch nennen, wird die Perspektivelosigkeit dieser Kinder besonders deutlich - mangelnde Ausbildungschancen, mangelnde Kontakte zu gleichaltrigen Deutschen und mangelnde Freizeitmöglichkeiten stempeln diese »verlorene Generation« von vornherein zu benachteiligten Außenseitern. Renke Korn meint: »Sie fühlen auf Schritt und Tritt, daß sie Menschen zweiter Klasse sind, spüren - gerade wenn es sich um türkische Jugendliche handelt - die gewaltige Kluft zwischen der Lebensweise, der ihre Eltern aus der kulturellen Tradition ihrer Heimatländer heraus noch verhaftet sind und ihnen zu vermitteln suchen, und der deutschen, wissen nicht, ob sie nun noch Ausländer sind oder schon Deutsche, sehen sich in einem Niemandsland, desorientiert, entwurzelt.«
Die Liebesromanze, die Korn und Keglevic nun vorführen, zeigt alle diese gesellschaftlichen Probleme ohne demonstrativen Gestus, sie bezieht sie vielmehr nahtlos ein in die Geschichte: Der junge deutsche Arbeiter, ein optimistischer Hans-Dampf-in-allen-Gassen, lernt die junge Türkin eines Tages zufällig kennen und ist von ihrer fremdartigen Schönheit und ihrer Ausstrahlung beeindruckt - trotz der handgreiflichen Widerstände der Familie bemüht er sich immer und immer wieder um das Mädchen, bis es in dieser Beziehung eine Chance erkennt, sich von ihrem traditionsbewußten Elternhaus zu emanzipieren.
Die Qualität dieser SFB-Produktion ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen: zum einen gelingt es Renke Korn, seinen gesellschaftskritischen Ansatz hinter lebendige Figuren zu stellen; zum anderen führt der österreichische Nachwuchsregisseur Peter Keglevic seine Darsteller zu überzeugend realistischer Leistung, auch wenn er manche Liebesstimmung allzu gefühlvoll ausmalt. Zum dritten stand mit dem Polen Edward Klosinski (der unter anderem auch für Andrzej Wajda drehte) ein überaus professioneller Kameramann zur Verfügung.
Die Laiendarstellerin Aysun Bademsoy verkörpert überzeugend das türkische Mädchen, in der Rolle des Bruders und der Mutter sind tatsächlich ihr Bruder Tayfun und ihre Mutter Sabahat zu sehen; die Entdeckung dieser drei geht zurück auf die Empfehlung des Schaubühnen-Darstellers Meray Ülgen, der den Vater spielt. Als deutscher Junge agiert Herbert Grönemeyer.” Klaus Wienert
Hessische Allgemeine
“Daß diese Liebesgeschichte nicht die aktuellen Probleme der Türken in Deutschland zur seichten Love-Story verwässert, darüber hinaus die Schwierigkeiten der Integration ohne den großen, demonstrativen Gestus dokumentiert werden, all das macht diesen Streifen zu einem ausgesprochen gelungenen Film.”
Westfälische Nachrichten
“Das Thema hatte Befürchtungen wachgerufen: Eine deutsch-türkische Liebesgeschichte - würde die Beziehung romantisiert werden, würde der Film in Klischees hängenbleiben, Vorurteile vielleicht sogar verstärken, würde den fremdem Kuturkreis besserwisserisch kritisieren? Nichts dergleichen war der Fall. Behutsam gingen die Filmemacher an das Problem heran, zeigten anhand der Geschichte Schritt für Schritt, wie die Annäherung zweier fremder Welten zu unlösbaren Konflikten führt, ohne daß jemanden eine Schuld trifft. Selten wird so einfühlsam und leicht nachvollziehbar dargestellt, welche Bedeutung hinter uns unverständlichen Verhaltensweisen steckt, etwa, wenn ein türkischer Vater seine jugendliche Tochter brutal verprügelt, weil sie zu spät nach Hause kommt. Man konnte die Enttäuschung des Familienoberhauptes über das “unmoralische” Verhalten geradezu mitfühlen, und auch in vielen anderen Szenen kam zum Ausdruck, daß hier beide Welten gleich ernst genommen wurden. Was im Film ablief, passiert sehr vielen jungen Menschen, die in der Bundesrepublik aufgewachsen, aber nach völlig anderen Regeln erzogen sind. Helfen konnte der Beitrag ihnen nicht - aber er konnte Verständnis für sie wecken.”
Kölner Stadtanzeiger
“Ohne den pädagogischen Zeigefinger vermittelte der Film Sitten und Gebräuche eines anderen Landes und beleuchtete die ungeheuren Schwierigkeiten, sie mit der hiesigen Lebensweise zu vereinbaren. Es waren vor allem die leisen Töne, die stillen Bilder, die sparsamen Dialoge und Gesten selbst in dramatischen Szene, die den Zuschauer zum Augenzeugen einer unaufhaltsamen Zerstörung machten. Autor, Regie und Kamera gelang ein schöner, dichter Film.”
TV Hören und Sehen
“Die türkischen Schauspieler waren - bis auf den Vater - Laien. Umso beeindruckender, wie spannend und ergreifend dieser Film gelang.”
NRZ
“In der Darstellung und in der Milieuzeichnung wirkte der Film glaubhaft und überzeugend. Besonderes Lob für ihr sympathisches, natürliches Spiel verdienen Aysun Bademsoy und Herbert Grönemeyer in den Hauptrollen.”
Rhein-Zeitung
“Der Autor Renke Korn, der in Berlin-Kreuzberg wohnt, kennt diese Situation aus eigener, unmittelbarer Anschauung. Er berichtet von einer sozusagen »optimistischen Tragödie«, die fürs erste gut ausgeht. Der Film wurde von Peter Keglevic ohne ambitiöse Verrenkungen, aber für Gespür für Atmosphäre, Milieu und die fast poesievolle Behutsamkeit dieser Liebesromanze in Szene gesetzt. Überdramatisiert wurd hier nichts, und Klischees blieben zum Glück ausgespart.”
Passauer Neue Presse
“Das Fernsehspiel warb mit viel Liebe um Verständnis für Menschen aus einem anderen Kulturkreis. Es machte überdies mit vielen unverbrauchten Gesichtern bekannt. Auch aus diesem Grunde war es bis zur letzten Minute sehenswert.”
Lübecker Nachrichten
“Gut, wie Autor und Regisseur diese heikle Thematik verarbeitet hatten zu einer rundum gelungenen Schilderung. Eine Art moderner Romeo-und-Julia-Geschichte war das, sensibel dargestellt und inszeniert.”
Frankfurter Rundschau
“Wenn es darum geht, Filme zu benennen, die Verständnis für das andersartige Verhalten der Gastarbeiter schaffen können - oder zumindest eine Grundlage, auf der nicht ausschließlich Aggressionen gegenüber dieser Andersartigkeit gedeihen - dann muß dies Fernsehspiel von Renke Korn ( Regie: Peter Keglevic ) als einer der ersten genannt werden. Vor allem geht seine künstlerische Qualität weit über das Niveau bloßer Goodwill-Aktionen hinaus.”
Der Film “Zuhaus unter Fremden” erhielt den AWO-Preis 1979.
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