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Es ist so, wie es ist
Funkkorrespondenz v. 27. 8. 92
“Ein Männerclan in einem Büro, zynische Gespräche führend, Witze reißend, gleichgültig gegen die Zeichen einer vor ihrer Haustür heraufziehendcn Katastrophe: Das ist das Szenario in Korns Hörspiel, es ist eine Parabel auf die Situation in den Gesellschaften der westlichen Welt. - Die Atmosphäre ist kafkaesk: Im Büro studieren die Angestellten Akten, deren Inhalt widerlich sein muß, irgendwelche »Sauereien«, die nicht näher benannt werden. Einer, der neu im Büro ist, »ein Nachdenker im Nest, ein Grübler« ist beunruhigt durch den Lärm von Schüssen, der von draußen hereindringt. Sind es Übungen von Soldaten, Salutproben oder werden Mörder erschossen? Sind vielleicht sogar die Schriftstücke, die der Chef durch einen Schlitz in der Wand steckt, »chiffrierte Todesurteile«? Nichts klärt sich auf. Ein Bürobote bringt einen Haufen nach Leichen stinkender Akten. Ein Angestellter räsonniert über das Verhältnis von Chaos, Ordnung und Kriminalität. Aber die Theoretiker widersprechen sich; die Skepsis ist eine elegante Pose, zu der die Schußübungen, die der Chef im Büro abhält, nicht so recht passen wollen. Und die Sorge über die von draußen hereindringenden Schreie, die der Neue äußert, quittieren die alten Bürohasen nur mit einem sarkastischen Lachen. Selbst als die apokalyptische Akustik so laut wird, daß man sich im Büro kaum noch unterhalten kann, bleiben sie cool. Und zum Feierabend gönnen sich die Schreibtischtäter Beethovens fünftes Klavierkonzert. Es ist eben so, wie es ist.
Korns Hörspiel trifft genau den Nerv der Zeit, perfekt inszeniert (Regie: Peter Groeger) schlägt es den Hörer von Anfang bis Ende in seinen dämonischen Bann. Die kunstvoll arrangierte, drohend rätselhafte, aus kalten Geräuschfragmenten komponierte Akustik (Hannes Zerbe) entspricht genau der offenen Dramatik des Stücks, und die Sprecher treffen meisterhaft den zynischen Tonfall, der einen Satz wie »Wo fühlt man sich schon wohl, außer im Mutterschoß oder im Sarg?« unvergeßlich macht. Will der Hörer den Sinn der dunklen Parabel lösen, ist Einsicht in die gegenwärtige politische Lage verlangt. Unwillkürlich fühlt man sich an die zynische Passivität der europäischen Gemeinschaft gegenüber dem Krieg in Jugoslawien erinnert. Aber auch die »sokratische Idiotie« (Enzensberger), mit der die Experten dem heraufziehenden ökologischen Exitus begegnen, führt das Hörspiel vor. Es ist die Stärke der Parabel, daß sie alle diese Anspielungen enthält, ohne sich darin zu erschöpfen. Deshalb wird man »Es ist so, wie es ist« immer wieder und immer wieder neu hören können; es sei denn, die Verhältnisse würden sich ändcrn. Daß sie es müssen, das ist der emanzipatorische Gestus des Hörspiels.” Jochen Rack
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